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Die Bedeutung des Animismus für unser Überleben

Viele religiöse Menschen halten Religiosität für ein angeborenes menschliches Bedürfnis. Viele Atheisten hingegen sehen in religiösem Glauben eine Folge jahrhundertelanger Indoktrination und betrachten die Freiheit von Glaubenssätzen als den ursprünglichen Zustand, sozusagen den Default-Modus menschlichen Bewusstseins. Dafür spricht z.B. dass wir noch nichts von irgendwelchen Dogmen wissen, wenn wir auf die Welt kommen. Sind wir also in unserer frühsten Lebensphase Atheisten? Wenn man von der ursprünglichen Wortbedeutung ausgeht, ist das sicherlich so. Die Vorstellung eines Gottes entwickelt sich erst nach mehreren Lebensjahren und selten ohne Beeinflussung von außen. Wenn man den Begriff Atheismus aber weiter fasst und darunter die Ablehnung des Glaubens an übersinnliche Phänomene versteht, dann sind wir sicher keine geborenen Atheisten.

Ich möchte hier die These aufstellen, dass unser Default-Modus vielmehr der Animismus ist und dass wir uns erst viel später für oder gegen eine bestimmte Religion entscheiden. Ich denke, das liegt in der Evolution begründet. Wir haben gute Gründe unbelebte Gegenstände als lebendige Wesen zu betrachten. Es macht uns schlichtweg überlebensfähiger. Wenn wir einen Felsblock für einen Bären halten, ist das kein Problem, wenn wir einen Bären für einen Felsblock halten, hingegen schon. Es bekommt uns also besser, um uns herum eher zu viel statt zu wenig Beseeltes zu vermuten. Das gilt umso mehr, je unerfahrener wir sind, am meisten also für Kleinkinder. Wenn diese überall Gespenster und Monster sehen und ihnen dunkle Winkel unheimlich sind, ist das also ein sinnvoller Schutzmechanismus. 
 
Ich erinnere mich, dass für mich, als ich sehr klein war, selbst Möbelstücke belebt waren, und natürlich hatte ich einen unsichtbaren Freund. Mit zunehmendem Alter können wir es uns dann leisten, die Welt um uns herum nach und nach zu entzaubern. Aber es gelingt uns nie ganz, unseren Default-Modus zu überschreiben. Tief in unserem Inneren behalten wir immer einen Hang zu animistischen Vorstellungen, auch wenn wir uns einer Religion zuwenden, für die das alles nur Aberglaube ist. Ja, selbst wenn wir Atheisten werden. Es bleibt ein zauberhafter, geheimnisvoller Rest, der immer wieder unsere Phantasie speist. Wir können darüber erschrecken oder uns daran freuen, ändern können wir es kaum. Das verdanken wir der Evolution.
 
 
 
 

 
Anmerkung zu der Animation (eigene Arbeit): Unser Default-Modus lässt uns auch in abstrakte Formen immer wieder Dinge hineinphantasieren. Das macht nicht-gegenständliche Kunst so spannend.

 

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