Wissen und Weisheit aus dem alten China

Für mein Buch "Die Lehren des großen Regens - Eine philosophische Reise ins alte China und zurück" habe ich einige Passagen aus dem Huainanzi, einem chinesischen Klassiker aus dem zweiten Jahrhundert vor unserer Zeit, ins Deutsche übersetzt. Für mich ist das Huainanzi eines der großartigsten Bücher der Weltliteratur - und ich kann überhaupt nicht verstehen, dass es davon immer noch keine deutsche Übersetzung gibt. Es ist als Geschenk für den Kaiser von China geschrieben worden, um ihm alles Wissen an die Hand zu geben, das man braucht, um ein Weltreich zu regieren. Es gibt nicht nur einen hervorragenden Einblick in das Weltbild der damaligen Zeit, sondern ist auch voller weiser Erkenntnisse, die über die Jahrtausende hinweg nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Hier möchte ich drei meiner Lieblingszitate vorstellen:

1.19. "Die Welt ist mein eigen, aber ich gehöre auch der Welt. Wie könnte da eine Kluft zwischen mir und der Welt sein? Um die Welt zu besitzen, wozu müsste ich sie da gewaltsam an mich reißen, Macht über Leben und Tod erlangen und ihr meine Regeln aufzwingen? Was ich darunter verstehe, die ganze Welt zu besitzen, ist gewiss nicht dies. Es bedeutet einfach, zu mir zu kommen – und die Welt nimmt mich auf."

14.19. "Ein aufgebrachter Geist fühlt sich selbst auf ei­nem Bambusbett mit weichen Matten nicht wohl. Auch ein Mahl aus wildem Reis und saftigem Rind­fleisch weiß er nicht zu schätzen. Sogar klingende Sai­ten und Flötentöne bereiten ihm keine Freude. Erst wenn der Ärger sich auflöst und die Unruhe abebbt, schmeckt die Speise wohl. Das Bett wird angenehm, das Zuhause sicher und das Unterwegssein ein Ver­gnügen. Von diesem Punkt aus betrachtet: Weil wir lebendig sind, haben wir Freuden, weil wir vergänglich sind, haben wir Kummer. Wer immer auf seinem Vor­teil aus ist, wird nicht froh und erfährt Sorgen statt Glück. Selbst wenn er alle Reichtümer der Welt besitzt und als Sohn des Himmels verehrt wird, kann er nicht verhindern, ein trauriger Mensch zu werden. Denn so ist die menschliche Natur: Sie liebt die Stille und hasst die Aufregung. Sie liebt die Vergnügungen und hasst die Plackerei. Ist der Geist dauerhaft frei von Begierden, findet er Ruhe. Ist der Körper dauerhaft frei von Aufgaben, findet er seine Freuden. Wer seinem Geist erlaubt, in Ruhe und Frieden zu schweifen, wer sei­nem Körper erlaubt, sich in Muße zu ergehen, wer ein­fach wartet, was der Himmel ihm eingibt, der wird in seinem Inneren Freude finden und nach außen frei von Sorgen sein."

16.5. "Ein guter Schütze schießt und verfehlt nicht das Ziel. Das ist gut für den Schützen, aber nicht gut für das Ziel. Einem guten Fischer entgeht kein Fisch. Das ist gut für den Fischer, aber nicht gut für die Fische. So ist, wo etwas gut ist, immer auch etwas, das nicht gut ist."

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